Die Geschichte des Zisterzienser-Ordens
- paulineocist
- vor 2 Tagen
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Von der Reform zur Erneuerung
Der Zisterzienserorden, bekannt für seine Betonung der Einfachheit, blickt auf eine faszinierende Geschichte zurück. Von seinen Ursprüngen als Reformbewegung innerhalb des Benediktinerordens über seine Ausbreitung in ganz Europa bis hin zur Anpassung an die moderne Zeit ist der Weg der Zisterzienser geprägt von Glauben, Widerstandskraft und ständiger Erneuerung.
Die Situation in den Benediktinerklöstern um die Jahrtausendwende
Im 11. Jahrhundert waren viele Benediktinerklöster wohlhabend und einflussreich geworden, was Spannungen innerhalb der Gemeinschaften hervorrief. Die Benediktsregel, die das gemeinschaftliche Leben und die Finanzierung durch eigene Arbeit betonte, wurde oft vernachlässigt. Stattdessen häuften die Klöster große Besitztümer an und rückten Land- und Machtpolitik in den Mittelpunkt. Diese zunehmende Verweltlichung störte viele Mönche, die sich nach einer treueren Befolgung der Benediktsregel sehnten.
Einer dieser besorgten Mönche war Robert von Molesme, Abt des Benediktinerklosters Molesme in Burgund. Unzufrieden mit der nachlässigen Disziplin, suchte er mit Gleichgesinnten nach einer strengeren Auslegung der Benediktsregel, die Einfachheit, Handarbeit und ein asketischeres geistliches Leben in den Mittelpunkt stellte. Aus diesem Wunsch nach Reform entstand 1098 das neue Kloster Cîteaux in einer abgelegenen Gegend Burgunds.
Die Gründung von Cîteaux und frühe Herausforderungen
Das Kloster Cîteaux wurde mit dem Ziel gegründet, die Benediktsregel in ihrer ursprünglichsten Form zu leben. Der Name „Zisterzienser“ leitet sich vom lateinischen „Cistercium“ ab, dem römischen Namen für Cîteaux. Die ersten Mönche unter Roberts Führung lebten in großer Armut und verrichteten schwere Handarbeit, sie lehnten Reichtum und Pracht ab, wie sie in vielen Benediktinerklöstern üblich geworden waren.
Doch die Gemeinschaft in Cîteaux stand vor großen Schwierigkeiten. Die strenge Lebensweise und die Abgeschiedenheit führten zu Nachwuchsmangel und finanziellen Engpässen. Zeitweise schien das junge Kloster dem Untergang geweiht. 1109 wurde Robert von seiner alten Gemeinschaft nach Molesme zurückgerufen, und die Zukunft von Cîteaux war ungewiss.
Eine Wende brachte das Jahr 1113, als Bernhard von Clairvaux, ein charismatischer junger Adliger, mit 30 Gefährten nach Cîteaux kam. Bernhards geistliche Kraft und Führungsstärke belebten die Gemeinschaft neu. Er gründete das Kloster Clairvaux und trug maßgeblich zur raschen Ausbreitung des Zisterzienserordens bei.
Die „Carta Caritatis“ und die Entstehung des Zisterzienserordens
Als eigenständiger Orden nahm der Zisterzienserorden 1119 Gestalt an, als Papst Calixt II. die „Carta Caritatis“ (Charta der Liebe) bestätigte. Dieses grundlegende Dokument, verfasst unter anderem von Stephan Harding, dem dritten Abt von Cîteaux, legte die Organisationsstruktur des Ordens fest: Dazu gehörten das jährliche Generalkapitel und das System der Visitationen.
Das Generalkapitel, wie es in der Carta Caritatis festgelegt wurde, war eine jährliche Versammlung aller Äbte, um die Einheit zu sichern, die Reinheit der Ordensregel zu wahren und wichtige Entscheidungen zu treffen. Dieses System war eine der entscheidenden Neuerungen, die den Zisterzienserorden von anderen monastischen Gemeinschaften unterschied und seine rasche Ausbreitung in Europa ermöglichte.
Die Ausbreitung des Zisterzienserordens in Europa
Unter Bernhards Führung verbreiteten sich die Zisterzienserklöster rasch in ganz Europa. Bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts entstanden Hunderte neue Abteien in Frankreich, Deutschland, England, Spanien und anderen Regionen. Die Klöster wurden bewusst in abgelegenen Gegenden gegründet, um die Abgeschiedenheit und die Arbeit mit den eigenen Händen zu betonen. Die weißen Gewänder der Zisterzienser, Symbol für Reinheit und Einfachheit, wurden zu einem bekannten Zeichen im mittelalterlichen Europa.
Die Zisterzienser prägten eine neue, schlichte Architektur, die den inneren geistlichen Fokus statt äußeren Prunk betonte. Sie wurden auch für ihre landwirtschaftlichen Innovationen, insbesondere im Bereich der Wasserwirtschaft und Hydraulik, bekannt. So wurden viele Zisterzienserklöster zu religiösen und wirtschaftlichen Zentren ihrer Regionen.
Die Zisterzienserinnen
Bereits im frühen 12. Jahrhundert entstanden die ersten weiblichen Zisterzienserklöster. Obwohl der Orden anfangs zögerte, Frauengemeinschaften aufzunehmen, konnte das wachsende Bedürfnis nach klösterlichem Leben unter Frauen nicht ignoriert werden. Das Kloster Tart, 1125 in Frankreich gegründet, gilt als erstes Zisterzienserinnenkloster. Die Frauen lebten nach denselben Idealen von Armut, Handarbeit und strenger Befolgung der Benediktsregel. Im Laufe der Zeit verbreiteten sich diese Klöster in ganz Europa und die Zisterzienserinnen spielten eine wichtige Rolle für die Ausstrahlung der zisterziensischen Spiritualität.
Kriege, Säkularisation und Erneuerung
Trotz ihres frühen Erfolgs standen die Zisterzienser in den folgenden Jahrhunderten vor großen Herausforderungen: Der Hundertjährige Krieg, die Religionskriege und der Dreißigjährige Krieg verwüsteten viele Klöster. Mit der Reformation und der Aufklärung wurden zahlreiche Klöster aufgehoben und enteignet, besonders im 18. Jahrhundert. Die Französische Revolution brachte die Auflösung vieler Ordensgemeinschaften und die Beschlagnahmung ihres Besitzes. Am Ende des 18. Jahrhunderts war der Orden stark geschwächt.
Neue Strukturen: Die Entstehung der Kongregationen
Mit dem Niedergang des zentralen Generalkapitels im späten Mittelalter bildeten sich regionale Kongregationen, um Gruppen von Klöstern zu reformieren und zu leiten. Besonders bedeutsam war die Entstehung der Trappistenbewegung im 17. Jahrhundert, die nach dem Kloster La Trappe in der Normandie benannt ist. Die Trappisten betonten eine noch strengere Befolgung der Benediktsregel mit besonderem Fokus auf Schweigen, Handarbeit und Askese. 1892 trennten sich die Trappisten offiziell als eigener Orden (O.C.S.O.) von den übrigen Zisterziensern, die als Zisterzienser der Gemeinsamen Observanz (O.Cist.) weiterbestehen.
Die Zisterzienser heute
Im 20. und 21. Jahrhundert erlebte das monastische Leben, darunter auch die zisterziensische Spiritualität, eine neue Blüte. Beide Zweige des Ordens wachsen wieder, mit Neugründungen besonders in Afrika, Asien und Amerika. Zisterzienserklöster sind heute Orte des Gebets, der Stille, der Nachhaltigkeit und des Dialogs. Trotz Herausforderungen wie sinkenden Berufungen in Europa bleiben die Zisterzienser ein lebendiges Zeugnis für die Werte von Einfachheit, Gemeinschaft und Gebet – und bieten in einer sich wandelnden Welt Orientierung und Inspiration.

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